11. Sep 2023 • Allgemein 

Leipziger Erklärung zur Unterstützung von Eltern mit Behinderungen

Quelle: Fachstelle Unterstützte Elternschaft Sachsen, Leben mit Handicaps e.V.

Hintergrund

Am 21. Juni 2023 richtete die Fachstelle Unterstützte Elternschaft Sachsen (Leben mit Handicaps e.V.) den inklusiven Fachtag „Eltern mit Behinderungen – zwischen Tabu und Normalität“ aus. Eltern mit Behinderungen, Leistungsträger*innen und Leistungserbringer*innen diskutierten darüber, was sich tun muss, damit Eltern mit Behinderungen ihre Rechte gemäß UN-BRK wahrnehmen und selbstbestimmt über ihre Elternschaft entscheiden können. Die Tagungsteilnehmer*innen verabschiedeten eine Erklärung, in der die wesentlichen Forderungen enthalten sind, die sich aus der Diskussion des Fachtages ergaben.

Diese Erklärung bilden wir hier gerne ab.

Leipziger Erklärung zur Unterstützung von Eltern mit Behinderungen

Selbstbestimmte Sexualität, Partnerschaft und Elternschaft sind grundlegende Menschenrechte. Mit der Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) hat sich Deutschland 2009 zur Achtung dieser Rechte verpflichtet. Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) regelt den Anspruch auf Leistungen bedarfsgerechter Unterstützung von Eltern mit Behinderungen im Sinne dieser Konvention. Das Kinder- und Jugend-Stärkungsgesetz stärkt die Rechte der Eltern und Kinder im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention.

Die Realität der Familien sieht noch zu oft anders aus

Noch immer stoßen Menschen mit Behinderungen bei Kinderwunsch auf Unverständnis, Bedenken oder gar Ablehnung.
Noch immer erhalten Eltern mit Behinderungen oft nicht die Unterstützung, die sie benötigen oder müssen sich diese erkämpfen, obwohl sie einen gesetzlichen Anspruch darauf haben.
Noch immer sind Ämter und Behörden nicht zufriedenstellend in der Lage, sich auf die Bedarfe von Eltern mit Behinderungen einzustellen und ressourcenorientiert Unterstützung anzubieten.
Noch immer gibt es zu wenige bedarfsgerechte Unterstützungsangebote für Eltern mit Behinderungen in ihrem Sozialraum. Das betrifft insbesondere den ländlichen Raum.
Noch immer werden Eltern mit Behinderungen in familienrechtlichen Verfahren und familienpsychologischen Sachverständigengutachten diskriminiert und wird ihnen das Recht auf selbstbestimmte Elternschaft abgesprochen.
Noch immer bestehen Probleme bei der barrierefreien Kommunikation mit den Eltern und der Bereitstellung barrierefreier Informationen in Hilfeplanprotokollen, Sachverständigengutachten oder Gerichtsbeschlüssen.
Noch immer werden Eltern mit Behinderungen bei der Wahrnehmung ihres Rechts auf Selbstbestimmung zu wenig als Experten in eigener Sache betrachtet.

Anforderungen an eine bedarfsgerechte Unterstützung der Eltern

Aktivitäten zur Umsetzung der UN-BRK müssen neben so wichtigen Punkten wie Armutsvermeidung, selbstbestimmte Teilhabe an Bildung und Arbeit, Wohnen und politischer Partizipation auch den Lebensbereich Sexualität, Partnerschaft und Elternschaft berücksichtigen, er gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen und Grundrechten.
Die Gewährleistung einer bedarfsgerechten Unterstützung von Eltern mit Behinderungen im Sinne der UN-BRK erfordert einen konsequenten Abbau ideeller, struktureller und materieller Barrieren in allen Bereichen der Gesellschaft.

Das heißt:

  • Schnelle und in Krisen unkomplizierte Hilfen für Eltern und Kinder sind bei Bedarf zur Verfügung zu stellen.
  • Elternschaft und die Verantwortung für Kinder muss in die Bedarfsermittlung aufgenommen werden, auch dann, wenn die Kinder nicht ständig bei dem jeweiligen Elternteil bzw. bei den Eltern leben. Bundeseinheitliche Standards zur Bedarfsermittlung sind zu entwickeln, die die Lebenslage Elternschaft berücksichtigen.
  • Hilfen sind vorrangig aus einer Hand zu gewährleisten. Bei trägerübergreifenden Leistungen muss im Rahmen von Gesamtplanverfahren eine Klärung der Kostenträgerschaft im Vorfeld der Hilfeleistung erfolgen. Das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern über die Leistungserbringung ist sicherzustellen.
  • Unterstützer/Assistenten/Elternassistenten sind nach Tariflohn zu bezahlen. Ebenso sollte eine Aufwandsentschädigung für Hilfen im sozialen Netz in die Budgetplanung einbezogen werden.
  • Barrierefreiheit in Kommunikation, Information und Bereitstellung von Angeboten ist sicherzustellen, um Eltern mit Behinderungen die selbstbestimmte Teilhabe in allen Belangen ihrer Elternschaft zu ermöglichen. Insbesondere Hilfeplanprotokolle, Sachverständigengutachten, Gerichtsbeschlüsse sind in einer für die Eltern zugänglichen Form bereitzustellen.
  • Wenn die Kinder ständig oder vorübergehend nicht bei ihren Eltern leben können, muss die Teilhabe der Eltern am Leben der Kinder gesichert und Elternarbeit im Sinne des SGB VIII auf die Möglichkeiten und Bedürfnisse der behinderten Eltern ausgerichtet sein. Ist eine Herausnahme der Kinder aus der Familie unumgänglich, sind Eltern und Kinder darauf vorzubereiten und zu begleiten. Erleben die Eltern diesen Schritt als Entlastung statt Bestrafung können sie die Trennung besser akzeptieren. Ein achtungsvoller Umgang mit den Eltern ist dafür Voraussetzung.
  • In der Aus- und Fortbildung in allen relevanten medizinischen und sozialen Berufen, für Gutachter und Juristen ist das Recht auf Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen zu thematisieren, um sie in allen Fragen bezüglich Familienplanung, Schwangerschaft und Elternschaft qualifiziert beraten und unterstützen zu können. Eltern mit Behinderungen sind dabei als Expert*innen in eigener Sache einzubeziehen.
  • Weiterbildung, Beratung und Sensibilisierung von Leistungsträgern und Leistungserbringern sowie weiterer Beratungsangebote (EUTB) ist erforderlich, z.B. bei der Entwicklung bedarfsgerechter Angebote, der Umsetzung der gesetzlichen Grundlagen zu den Rechten von Eltern mit Behinderungen und zu Umsetzungsmöglichkeiten trägerübergreifender Komplexleistungen sowie anderer Leistungen der Teilhabe.
  • Um die bestehenden Lücken in Bezug auf das Wissen um Sexualität, Partnerschaft und Elternschaft von Menschen mit Behinderungen zu schließen, sind gezielt Forschungsprojekte in diesem Bereich zu fördern.
  • Die Fachstelle für Unterstützte Elternschaft auf Landesebene ist in eine institutionelle Förderung zu überführen. Sie kann als Beispiel für andere Bundesländer fungieren und wesentlich dazu beitragen, die Rahmenbedingungen für Unterstützte Elternschaft zu verbessern. Zu ihren Aufgaben gehören Beratung und Interessenvertretung der Eltern, Weiterbildungen, Informationsveranstaltungen von und für Eltern mit Behinderungen zu ihren Rechten und Möglichkeiten bedarfsgerechter Unterstützung, Unterstützung beim Ausbau regionaler ambulanter, teilstationärer und stationärer Angebote für Eltern mit Behinderungen, Vernetzung bestehender Unterstützungsangebote.

„Wer Inklusion will, findet einen Weg, wer sie nicht will, findet Ausreden“ (Raul Krauthausen)