
Mit Besorgnis haben wir die Gespräche zum aktuellen Haushaltsentwurf verfolgt, der am 31. März 2025 endgültig von der Landesregierung verabschiedet wurde. Wir sind uns der angespannten finanziellen Lage in Sachsen bewusst, die Einsparungen in verschiedenen Bereichen erforderlich macht. Dennoch halten wir es für fatal, gerade in den essenziellen Bereichen der Gleichstellungs-, Vielfalts- und Antidiskriminierungsarbeit die Mittel zu kürzen. Bereits im Januar hatte Ministerpräsident Michael Kretschmer schwierige Zeiten und Kürzungen „in allen Bereichen“ angekündigt. Der nun vorliegende Haushalt sieht insbesondere im Bereich gesellschaftlicher Zusammenhalt und Integration sowie Gleichstellung und Antidiskriminierung des Sozialministeriums tiefgreifende Einschnitte vor. Die Vertreter*innen der sächsischen Landesverbände aus den Bereichen Gleichstellung, Vielfalt und Antidiskriminierung befürchten dadurch gravierende Auswirkungen auf den demokratischen Zusammenhalt des Landes und lehnen den aktuellen Haushalt deshalb ab.
Diese Bereiche wurden in den letzten 30 Jahren kontinuierlich ausgebaut und haben sich professionalisiert. Die aktuellen Kürzungen gefährden nicht nur die Fortführung dieser wichtigen Arbeit, sondern stellen auch einen Rückschritt dar, den wir nicht hinnehmen können. Die Leipziger Autoritarismus Studie aus dem Jahr 2024 legt nahe, dass es einer fortlaufenden Demokratiearbeit bedarf – zu der auch unsere Tätigkeiten gehören –, um politische Bildung zu fördern, soziale Bindungen zu stärken, Extremismus zu bekämpfen und inklusive wie gerechte Gesellschaften voranzubringen. Die Ergebnisse dieser Studie mit 35% im Bereich antifeministischer Einstellungen in den neuen Bundesländern zeigen, wie wichtig gerade heute Gleichstellungs-, Vielfalts- und Antidiskriminierungsarbeit ist. Antifeministische und transfeindliche Einstellungen sind in Ostdeutschland um ca. 15 Prozentpunkte höher als in Westdeutschland. Als Standort Sachsen braucht es eine politische und finanzielle Absicherung, um Demokratiearbeit durchführen zu können. Besonders in ländlichen Gebieten ist es von großer Bedeutung, dass Angebote ausgebaut oder zumindest erhalten bleiben, um allen Menschen Zugang zu den notwendigen Unterstützungsleistungen zu gewährleisten.
Es ist notwendig, die Arbeit im Bereich Gleichstellung, Vielfalt und Antidiskriminierung zu stärken, da sie das Fundament einer demokratischen und freien Gesellschaft darstellen sowie Innovation in Sachsen ermöglichen und stärken.
Dazu Jessica Bock vom Landesfrauenrat Sachsen e.V.: „Gleichstellung muss eine Querschnittsaufgabe der sächsischen Landesregierung werden; dazu bedarf es eines geschlechtersensiblen Finanzhaushalts. In Zeiten multipler Krisen ist eine geschlechtersensible Krisenpolitik notwendig, die bestehende Benachteiligungen und Diskriminierungen von Frauen nicht verschärft, sondern gezielt abbaut.“
Frauen und queere Menschen sind in vielen Bereichen nach wie vor benachteiligt. Hierunter fällt insbesondere die Vergütung ihrer Arbeitskraft sowie ihre Präsenz in Wissenschaft und Politik. Im Jahr 2024 lag der Anteil gewählter Frauen nach den Kommunalwahlen in Sachsen bei durchschnittlich 22,2 Prozent in Gemeinde- und Stadträten sowie bei 19,2 Prozent in Kreistagen. Damit gehört Sachsen im bundesweiten Vergleich zu den Schlusslichtern. Dieser Einschätzung schließt sich auch der Sächsische Landfrauenverband an. Gerade auch im ländlichen Raum bedarf es weiterer Anstrengungen, um Gleichstellung und Chancengleichheit weiter voranzubringen.
Gleichzeitig ist es relevant für eine gelingende Gleichstellungsarbeit, Männer zu erreichen und sie für Gleichstellungsfragen zu sensibilisieren. Männer haben beispielsweise einen deutlichen Nachholbedarf darin, Beratungen in Anspruch zu nehmen. Laut dem Robert-Koch-Institut gehen Männer häufig erst dann zu einer Beratung, wenn sich eine Erkrankung bereits manifestiert hat. Sie holen sich in Lebenskrisen (z.B. bei Trennungen oder in Fragen der Work-life-Balance) seltener Hilfe und haben eine sehr hohe Suizidrate.
Matthias Mack von der Landesfachstelle Männerarbeit Sachsen der LAG Jungen- und Männerarbeit Sachsen e.V. erläutert dazu: „Gerade in geschlechtersensiblen Beratungsangeboten können Männer für progressive Männlichkeitsbilder erreicht werden, die für sie selbst hilfreich sind und gleichzeitig für die Gleichstellung aller Geschlechter. Diese braucht es gegenwärtig mehr denn je.“
Lsbtiq* Personen sind in Sachsen aktuellen Erhebungen zufolge insbesondere in den Bereichen öffentliche Sicherheit, Familiengründung und Schule/Bildung überdurchschnittlich hoch benachteiligt. Neben diesen für die Lebenszufriedenheit essenziellen Themen gibt es nach wie vor zu wenige diskriminierungssensible Angebote in den Bereichen Gesundheit, Sport und Freizeit. Dies muss sich dringend ändern. Umso erfreulicher ist es deshalb, dass sich gerade im Fachkräftebereich im Freistaat Sachsen ein wachsendes Problembewusstsein für queere Lebenslagen entwickelt hat. Diese wichtigen Impulse gilt es dringend zu halten und zu nutzen.
Britta Borrego (LAG Queeres Netzwerk Sachsen e.V.) führt dazu aus: „In den letzten 10 Jahren wurde viel für die Aufklärung für vielfältige Lebenslagen in Bildungs- und Beratungssettings getan - egal ob in der Schule, der Kita, im Betrieb oder in Behörden. Sie hat maßgeblich zum Abbau von Vorurteilen und damit gruppenbezogener menschenfeindlicher Einstellungen beigetragen und darf daher zukünftig nicht gestrichen werden.“
Die LAG Queeres Netzwerk Sachsen rekurriert damit auch auf die vielen herausragenden Projekte für die Integration und Partizipation von Menschen mit Fluchtgeschichte, die jetzt fast vollständig keine Fördermittel mehr erhalten sollen.
Astrid Tautz vom Genderkompetenzzentrum Sachsen betont: „Gerade intersektionale Projekte lassen sich oft schwer in die Richtlinien einpassen und fallen bei Mittelkürzungen der Richtlinien oft zuerst aus der Förderung. Sie leisten jedoch wichtige und notwendige Arbeit, um Gleichstellung und Teilhabe von mehrfachmarginalisierten Gruppen wie bspw. Frauen oder queeren Menschen of Color zu stärken.“
Ari Braun vom Antidiskriminierungsbüro Sachsen e.V. ergänzt mit Blick auf Antidiskriminierungspolitik als Querschnittsanliegen in Sachsen: „Antidiskriminierungsarbeit in Sachsen ist kein "nice to have". Sie ist entscheidend für den demokratischen Zusammenhalt, da sie sich dafür einsetzt, dass Menschen gleichwertig und gerecht behandelt werden. Und sie kann zu einem Wirtschaftsfaktor werden: Fachkräfte, die die Wahl haben, wohin sie sich bewerben, bevorzugen inklusive und offene Arbeitsumfelder, sowie Regionen, für die "Offenheit" und "Vielfalt" nicht bloße, politische Lippenbekenntnisse sind. Durch Kürzungen in unserem Bereich müssten wir unser Beratungsangebot reduzieren - das wird letztlich auf dem Rücken unserer Klient*innen ausgetragen, also auf dem Rücken derjenigen, die ohnehin an den Rand unserer Gesellschaft gedrückt werden.“
Mit den derzeit zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln können nur noch Teile der bestehenden Angebote aufrechterhalten werden. Dies ist unzureichend und gefährdet die Erfolge, die in den letzten Jahrzehnten erzielt wurden. Wir fordern daher eine Überprüfung der Haushaltsmittel und eine Sicherstellung der finanziellen Ressourcen für die Gleichstellungs-, Vielfalts- und Antidiskriminierungsarbeit im Freistaat Sachsen.
Es ist unerlässlich, dass Sachsen auch in Zukunft ein starkes Zeichen für die Gleichstellung aller Geschlechter und gegen Diskriminierung setzt. Wir appellieren an die Entscheidungsträger*innen, die Bedeutung dieser Themen zu erkennen und die notwendigen finanziellen Mittel bereitzustellen, um die wertvolle Arbeit in diesen Bereichen fortzuführen.
Gemeinsam stehen wir für eine gerechte und sichere Gesellschaft ein und fordern die Unterstützung, die wir benötigen, um diese Ziele zu erreichen.
Landesfrauenrat Sachsen e.V.
Sächsischer Landfrauenverband e.V.
Antidiskriminierungsbüro Sachsen e.V.
LAG Queeres Netzwerk Sachsen e.V.
LAG Jungen- und Männerarbeit Sachsen e.V.
Genderkompetenzzentrum Sachsen (in Trägerschaft des FrauenBildungsHaus Dresden e.V.)
Hintergrund:
Die Kürzungen im Regierungsentwurf betreffen u.a. diese Förderprogramme im Einzelplan 08 des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales, Gesundheit und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, konkret in Kapitel 10 (Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Integration) und Kapitel 11 (Demokratie, Bürgerbeteiligung und Gleichstellung):
- Integrative Maßnahmen: Kürzung von 14,9 Mio € in 2024 auf 9,38 Mio € (-37 %) in 2025 bzw. 2,91 Mio € (-80 %) in 2026
- Weltoffenes Sachsen (WOS): Kürzung von 9,32 Mio € in 2024 auf 8,61 Mio € (-8 %) in 2025 bzw. 8,69 Mio € (-7 %) in 2026
- Beratungsnetzwerk im Demokratiezentrum: Kürzung von 2 Mio € in 2024 auf 1,43 Mio € in 2025 und in 2026 (jeweils -29 %)
- Soziale Orte: Kürzung von 4 Mio € in 2024 auf 0 € (-100 %) in 2025 bzw. 0,95 Mio € (-76 %) in 2026
- Orte der Demokratie: Kürzung von 2,65 Mio € in 2024 auf 0,29 Mio € (-89 %) in 2025 bzw. 0,5 Mio € (-81 %) in 2026
- Chancengleichheit von Frau und Mann, Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und Antidiskriminierung: Kürzung von 4,11 Mio € in 2024 auf 4 Mio € (-3 %) in 2025 bzw. 2,87 Mio € (-30 %) in 2026
- Diese Programme zusammen: Kürzung von 36,98 Mio € in 2024 auf 23,72 Mio € (-36 %) in 2025 bzw. 17,35 Mio € (-53 %) in 2026