23. Aug 2022 • Allgemein 

Aus unserer Arbeit: Blut- und Plasmaspende nicht erwünscht – Pauschaler Ausschluss blinder Menschen bei privatem Blutspende-Dienst

Blutröhrchen

Der Fall

Die beiden Ratsuchenden folgten dem Aufruf eines privaten Blutspende-Dienstes, dass dringend Blut- und Plasmaspender*innen gesucht werden. Vor Ort wurde ihnen erklärt, dass sie als blinde oder sehbehinderte Personen grundsätzlich vom Spenden ausgeschlossen seien. Zu weiteren Erklärungen oder Begründungen war die zuständige Ärztin vor Ort nicht bereit. Die Ratsuchenden fühlten sich durch diesen kategorischen Ausschluss in ihren Teilhaberechten verletzt. Die Abweisung ohne weitere Begründung empfanden sie als respektlos und kränkend.

Rechtliche Einschätzung

Nach § 19 Abs.1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sind Diskriminierungen beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen verboten, wenn es sich dabei um Massengeschäfte handelt. Massengeschäften sind solche Verträge, die in einer Vielzahl von Fällen ohne Ansehen der Person geschlossen werden.

Zu Blut- und Plasmaspenden ist nur zugelassen, wer nach individueller Prüfung als gesundheitlich geeignet erscheint. Deswegen handelt es sich bei diesen Spenden vermutlich nicht um ein Massengeschäft im Sinne des AGG.

Darüber hinaus ist eine Anwendbarkeit des AGG vermutlich auch deshalb nicht gegeben, weil das Gesetz nur vor diskriminierenden Verweigerungen beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen schützt. Dagegen sind die Anbieter*innen einer Leistung, wie zum Beispiel, wenn Menschen eine Blut- oder Plasmaspende gegen Aufwandsentschädigung anbieten, wahrscheinlich nicht durch das AGG geschützt.

Intervention/Ergebnis

Ungeachtet der rechtlichen Situation richteten wir im Auftrag unserer Klient*innen einen Beschwerdebrief an den Blutspende-Dienst. Wir forderten darin eine Stellungnahme und eine Begründung für den Ausschluss von der Spende. Dazu gaben wir unsere Einschätzung, dass es sich bei dem grundsätzlichen Ausschluss blinder und sehbehinderter Menschen um eine Diskriminierung handelt, gerade auch vor dem Hintergrund, dass andere Blutspende-Dienste keine solchen restriktiven Ausschlussregeln haben.

In einem Antwortschreiben benannte der Blutspende-Dienst mehrere Gründe für den Ausschluss. Zum einen könnten blinde Menschen die vorab zu lesenden und zu unterschreibenden Unterlagen nicht selbst ausfüllen. Zum anderen müssten die Spender*innen während der Plasmaentnahme die Maschinen selbstständig im Blick behalten können. Zuletzt sei in Folge der Spende das Risiko für Schwindel, Desorientierung und Stürzen erhöht, worauf blinde Spender*innen angeblich schlechter reagieren könnten als sehende.

In Rücksprache mit unseren Klient*innen schrieben wir eine Entgegnung auf diese Stellungnahme an den Blutspende-Dienst. Wir argumentierten, dass es Möglichkeiten gibt, die Barrieren für blinde Menschen beim Unterschreiben der Unterlagen abzubauen und führten dazu Positivbeispiele anderer Blutspende-Dienste an. Bezüglich der Begründung zum Ablauf der Plasmaentnahme merkten wir an, dass dies unseren Klient*innen vor Ort hätte erklärt werden sollen, anstatt sie einfach wegzuschicken. Bezüglich des Sturzrisikos kritisierten wir, dass es sich dabei um eine verallgemeinernde und defizitorientierte Bewertung der Fähigkeiten blinder Menschen handelt. Diese haben nicht generell eine schlechtere Körperwahrnehmung als sehende Menschen und haben in den meisten Fällen einen guten Umgang mit Schwindel oder Desorientierung.

Daraufhin räumte der Blutspende-Dienst schriftlich ein, zukünftig nicht mehr in der Form pauschal Menschengruppen abzuweisen, sondern einzeln zu prüfen. Darüber hinaus wurden unsere Klient*innen zu einem klärenden Gespräch vor Ort in dem Spendezentrum eingeladen. In diesem Gespräch wurde ihnen der genaue Ablauf der Spende erklärt und es wurde gemeinsam überlegt, wo Probleme auftreten können und was für Lösungsmöglichkeiten bestehen.

Kommentar

Entscheidend dafür, dass unsere Klient*innen das Gespräch letztendlich als positiv wahrnahmen, war die Art und Weise der Kommunikation. Indem sich die Gegenseite Zeit nahm, die Regelungen zu erläutern und die Selbsteinschätzung unserer Klient*innen zu ihren Fähigkeiten ernst nahm, zeigten sie, dass sie auch blinde und sehbehinderte Personen als potenzielle Spender*innen respektieren. Die Mitarbeiter*innen des Blutspende-Dienstes rückten damit von der verallgemeinernden Einschätzung zu vermeintlichen Einschränkungen behinderter Menschen ab und sahen ein, dass solche pauschalen Zuschreibungen keinen Ausschluss rechtfertigen sollten. Des Weiteren zeigt der Fall, dass es sich auch dann lohnen kann, gegen Diskriminierungen vorzugehen, wenn ein rechtlicher Schutz durch das AGG nicht gegeben ist.

Unter der Rubrik „Aus unserer Arbeit“ veröffentlichen wir in regelmäßigen Abständen anonymisierte Fälle aus unserer Beratungsarbeit als Einblick in die Antidiskriminierungsberatung in Sachsen.
Weitere Fälle finden Sie auf unserer Unterseite
"Beratung".

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