28. Apr 2022 • Allgemein 

Aus unserer Arbeit: „Baden? – Nur wenn Sie nicht chronisch krank sind“

Freibad

Diskriminierung aufgrund von Behinderung und/oder chronischer Erkrankung durch die Badeordnung eines Camping- und Badeortes

Der Fall

In einem Landkreis in Sachsen hatte der Betreiber mehrerer öffentlicher Bäder in einem seiner Freibäder eine Bade- und Besucherordnung öffentlich ausgehängt, die mehrere diskriminierende Formulierungen enthielt. So wurde darin Menschen mit bestimmen Krankheiten – bis hin zu Hautausschlägen – und Personen, die auf Assistenzhunde angewiesen sind, der Eintritt verwehrt. Darüber hinaus sollte Menschen mit bestimmten Behinderungen den Zutritt nur mit Begleitperson gestattet sein.

Das Antidiskriminierungsbüro Sachsen wurde durch die Beauftragte des Landkreises für Menschen mit Behinderungen auf die diskriminierende Badeordnung hingewiesen – mit der Bitte um argumentative Unterstützung in dem Anliegen gegenüber dem Betreiber der Bäder.

Rechtliche Einschätzung

  • Eine rechtliche Einschätzung ist hier kompliziert, weil verschiedene Schritte zu beachten sind:
  • Zunächst muss juristisch geprüft werden, ob es um privates oder öffentliches Recht geht: Der Betreiber tritt zwar als GmbH auf, alleinige Gesellschafterin ist jedoch die Stadt. Es könnte deshalb um den Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung und damit um öffentliches Recht gehen, oder jedoch um eine zivilrechtliche Angelegenheit, bei der dann das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu berücksichtigen wäre. Dies könnte z. B. ein*e Anwält*in einer betroffenen Person prüfen, die in einem solchen Fall juristisch vorgehen möchte.
  • Im Fall einer betroffenen Person muss geprüft werden, ob eine ungerechtfertigte Benachteiligung der betroffenen Person vorliegt. Das ist der Fall, wenn es keinen sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung gibt.
  • Es ist mindestens stark zweifelhaft, ob die generelle Pflicht für Epileptiker*innen, Rollstuhlfahrer*innen und Menschen mit einer Schwerbehinderung, eine Begleitperson mitbringen zu müssen, angemessen ist, da eine Behinderung dies nicht in jedem Fall erforderlich macht. Eine pauschale Verpflichtung zu einer Begleitperson für Menschen mit einem „B“ im Schwerbehindertenausweis verstößt vielmehr gegen geltendes Recht (§ 229 SGB 9, Abs. 2; deutlich formuliert z. B. durch den Beauftragten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Belange der Menschen mit Behinderungen, Hubert Hüppe, 2006).
  • Auch für das Zugangsverbot für Menschen mit einem Hautausschlag ist zunächst kein rechtfertigender Grund ersichtlich, aus dem sie von der Nutzung ausgeschlossen sein sollten (so geht z. B. von einer nicht-ansteckenden Hauterkrankung keinerlei Gefahr für andere Besucher*innen aus).
  • Als Antidiskriminierungsbüro Sachsen schätzten wir die pauschal formulierten Ausschlüsse dieser Personengruppen als diskriminierend und teilweise behindertenfeindlich ein.

Intervention/Ergebnis

In unserem Fall hatte sich keine konkret betroffene Person an uns gewandt, sondern eine Behindertenbeauftragte, die den pauschal formulierten Ausschluss als unnötig ausgrenzend empfand. Auf Grundlage des Austausches mit uns trat sie schließlich an die diskriminierungsverantwortliche Seite heran und forderte diese zu einer umgehenden Anpassung der Bäderordnung auf.

Der Betreiber zeigte sich zunächst uneinsichtig, stimmte schließlich jedoch einer Änderung zu. Zu diesem Zweck legte er als Vorschlag eine Badeordnung vor, die auf einem anderen Campingplatz vom selben Betreiber aktuell in Kraft war. Nach einer Überprüfung stellte sich jedoch heraus: Auch diese Badeordnung enthielt dieselben Diskriminierungen. So formulierte das ADB gemeinsam mit der Behindertenbeauftragten Vorschläge für eine Änderung der entsprechenden Stellen bzw. forderte zur ersatzlosen Streichung bestimmter Sätze auf.

Etwa ein Jahr später legte der Betreiber eine erneut überarbeitete Version der Badeordnung vor, die nunmehr Assistenzhunde erlaubte, jedoch weiterhin Menschen mit „Hautausschlägen“ den Eintritt verwehrte und Menschen mit bestimmten Behinderungen weiterhin zu einer Begleitperson verpflichtete. In der nächsten Überarbeitung des Entwurfs fand sich weiterhin der Ausschluss von „Menschen mit Hautausschlägen“, den das ADB in seiner generalisierten Form als diskriminierend einschätzte. An dieser Stelle wurde auf die Informationen der Betroffeneninitiative "In meiner Haut" hingewiesen, welche die problematische Situation von Personen mit sichtbaren Hautkrankheiten darstellt und erläutert (https://www.inmeinerhaut.de).

Darüber hinaus forderte die Ordnung „Menschen, die an chronischen Krankheiten […] leiden“ dazu auf, sich beim diensthabenden Personal zu melden. Hier empfahl das ADB stattdessen die Formulierung "bei Krankheiten, die ein erhöhtes Sicherheitsrisiko für die betroffene Person beim Schwimmen mit sich bringen". Zur Verdeutlichung: Nach dieser Formulierung würde darunter vermutlich Besucher*innen mit Epilepsie fallen, auf die das Personal dann achtgeben kann. Nach der pauschalisierenden Formulierung des Betreibers wären aber auch Besucher*innen mit z. B. Depressionen oder Arthritis verpflichtet, sich beim Personal zu melden und ihnen gegenüber ihre Erkrankung offen zu legen.

Inzwischen – etwa 1,5 Jahre nach der ersten Kontaktaufnahme mit dem Betreiber – liegt für beide betreffenden Bäder eine nach unserer Einschätzung diskriminierungsfreie Badeordnung vor.

Kommentar

Unsere Recherche in diesem Fall hat ergeben, dass es sich bei der geschilderten Badeordnung aus Sachsen leider nicht um einen Einzelfall handelt. Vielmehr scheinen sich viele Badeordnungen verschiedener Freizeiteinrichtungen ursprünglich an derselben Musterordnung orientiert zu haben, die diese problematischen Formulierungen enthielt. Viele beziehen sich hinsichtlich des Ausschlusses chronisch Erkrankter noch auf das "Bundesseuchengesetz", das es schon seit 2001 nicht mehr gibt. Das aktuell empfohlene Muster einer Haus- und Badeordnung von der Deutschen Gesellschaft für Bäderwesen enthält diese Formulierungen nicht mehr, schließt jedoch nach wie vor ohne explizite Ausnahmeregelung für Blindenführhunde den Zutritt von Tieren pauschal aus. Insbesondere für Freibäder schätzen wir dies klar als diskriminierend ein.

Grundsätzlich kommen im Bereich Behinderung immer wieder Klient*innen auf uns zu, die Ausschlüsse im Bereich Freizeit / Dienstleistungen erfahren. Wir sind in konkreten Fällen gerne Ansprechpartner*innen für Menschen, die eine solche Diskriminierung erleben. Wir werden aber auch aktiv, wenn andere Organisationen oder Beauftragte gegen Diskriminierung, die sie beobachtet haben, vorgehen möchten und stellen gerne unsere Expertise dafür zur Verfügung.

Unter der Rubrik „Aus unserer Arbeit“ veröffentlichen wir in regelmäßigen Abständen anonymisierte Fälle aus unserer Beratungsarbeit als Einblick in die Antidiskriminierungsberatung in Sachsen.
Weitere Fälle finden Sie
hier (wird fortlaufend aktualisiert).

Bildnachweis: Photo by Juan Patlan on Unsplash