Der Sächsische Flüchtlingsrat e. V., der Stadtverband der Gehörlosen Dresden e. V. und wir haben am 20. Dezember 2023 einen Offenen Brief zur Lage gehörloser Geflüchteter in Sachsen veröffentlicht. Dieser richtet sich an die Landesdirektion Sachsen und das sächsische Sozialministerium.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir, der Sächsische Flüchtlingsrat e.V., der Stadtverband der Gehörlosen Dresden e.V. und das Antidiskriminierungsbüro Sachsen, möchten Ihre Aufmerksamkeit auf eine dringende Angelegenheit lenken, die für eine gerechtere und inklusive Gesellschaft von größter Bedeutung ist.
Aktuell leben in Sachsen zwischen 300 und 400 gehörlose Geflüchtete, deren Lebensrealität mit vergleichsweise geringen politischen Änderungen deutlich verbessert werden könnte. In urbanen Zentren wie Chemnitz, Dresden und Leipzig existieren bereits langjährig etablierte Strukturen zur Unterstützung von Gehörlosen. Lokale Vereine setzen sich hier täglich dafür ein, gehörlosen Menschen im Alltag beizustehen und sind in enger Kooperation mit örtlichen Behörden und Initiativen tätig.
Trotz dieser vielversprechenden Bemühungen beobachten wir mit Besorgnis, dass sich die Missstände gehörloser Geflüchteter festigen. Oft leben diese in Massenunterkünften isoliert und ohne bedarfsorientierte Betreuung, womit ihnen sämtliche Chancen zur Integration verwehrt bleiben. So ist besonders die Unterbringung im ländlichen Raum schwierig, da dort wenig bis gar keine Erfahrung bei der Bedarfsanalyse von Gehörlosen vorliegt. Betroffene schildern, dass eine erfolgreiche Kontaktaufnahme meist mehr Zufall erfolgt, da es keine ausreichenden Strukturen für Sprachmittlung gibt.
Außerdem erscheint die Unterbringung von gehörlosen Geflüchteten auf dem Land wenig sinnvoll, weil dort keine passenden Schulangebote existieren. So erfolgt beispielsweise für ein gehörloses Kind, welches in Königstein lebt, die Organisation eines Taxifahrdienstes, um das Kind jeden Tag zur Schule nach Dresden zu transportieren. Hier enstehen monatliche Kosten von ca. 900,00 Euro. So erscheint die Unterbringung von Gehörlosen in der Fläche sowohl für die Organisation des Alltags als auch aus finanzieller Sicht wenig zielführend. Hauptgrund hierfür liegt in der Verteilung aller Geflüchteten nach dem Königsteiner Schlüssel, einer mathematischen Quote ohne ausreichende Berücksichtigung individueller Bedürfnisse.
Wir appellieren an Sie, die folgenden Maßnahmen zu erwägen:
Individuelle Bedürfnisse erfassen: Wir bitten inständig darum, im Rahmen des Clearing-Verfahrens die spezifischen Bedürfnisse der gehörlosen Geflüchteten gründlich zu erfassen. Dies ermöglicht eine bedarfsgerechte Unterbringung und Betreuung, die den besonderen Anforderungen dieser Menschen gerecht wird.
- Kooperation mit bestehenden Strukturen: Wir empfehlen nachdrücklich eine enge Zusammenarbeit zwischen den bewährten Gehörlosenverbänden und den zuständigen Stellen für Flüchtlingsunterbringung. Diese Kooperation gewährleistet eine gezielte und effektive Hilfe sowie eine verbesserte Integration der Betroffenen.
- Feste Kontingente in urbanen Zentren: Wir schlagen vor, feste Kontingente für gehörlose Geflüchtete in den größeren Städten einzurichten. Dies ermöglicht eine bessere Nutzung der vorhandenen Unterstützungsstrukturen und verhindert soziale Isolation und fehlende Integrationsmöglichkeiten in ländlichen Regionen.
- Unterstützung der Engagierten: Die engagierten Mitglieder der Gehörlosenverbände leisten wertvolle Arbeit. Ihre Anliegen müssen gehört, ihre Arbeit geschätzt und angemessen finanziert werden, um eine nachhaltige Unterstützung sicherzustellen.
- Ausstellung von Schwerbehindertenausweisen: Unsere Praxis zeigt, dass die Beantragungen von Schwerbehindertenausweisen erhebliche Verzögerungen aufweisen. Dies führt zu unbezahlten Dolmetschungen, da Krankenkassen nur bei Grad der Schwerbehinderung von 80 oder höher und dem Merkzeichen „GL“ (gehörlos) den Einsatz einer Sprachmittlung bezahlen. Weiteres Problem ist hierbei, dass Personen mit geringeren Hörbeeinträchtigungen ohne Entschädigung zurückbleiben.
- Bildung nach Bedarf nicht nach Alter: An einer Förderschule in Dresden musste bspw. eine 18-jährige ukrainische Schülerin aufgrund der Altersgrenze mit Eintreten der Volljährigkeit die Schule verlassen. Ohne entsprechenden Abschluss führte dies zu Problemen bei der Anmeldung für eine Ausbildung, was ihre Zukunftsperspektiven gefährdete.
- Deutschkurse mit Gebärdenübersetzung: Weiteres Problem ist der Mangel an Integrations- und Deutschkursen mit Gebärdensprachkompetenz in der Region. Dies beeinträchtigt die Integration hörgeschädigter Geflüchteter erheblich. Auch in den aktuellen Richtlinien vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für Sprachkurse berücksichtigen nicht die Bedürfnisse von Gehörlosen.
Durch die Implementierung dieser Maßnahmen könnten nicht nur unmittelbare Kosten reduziert, sondern vor allem auch das Leben und die Integration gehörloser Geflüchteter nachhaltig verbessert werden. Wir sind davon überzeugt, dass durch eine gezielte und inklusive Herangehensweise an diese Herausforderung ein wichtiger Schritt in Richtung einer gerechteren Gesellschaft getan werden kann.
Wir danken Ihnen herzlich für Ihre Zeit und Ihre Überlegung dieser Angelegenheit. Gemeinsam können wir positive Veränderungen bewirken und den Grundstein für eine inklusive und unterstützende Umgebung legen.
Mit freundlichen Grüßen
Sächsischer Flüchtlingsrat
Stadtverband der Gehörlosen Dresden e.V.
Antidiskriminierungsbüro Sachsen