29. Nov 2019 • Allgemein 

Gutachten zu Erweiterung des Diskriminierungsschutzes: ADS sieht Schutzlücken bei Sprache und familiärem Status

Pressemitteilung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)

Berlin, 29. November 2019

Gutachten zu Erweiterung des Diskriminierungsschutzes

Antidiskriminierungsstelle: Benachteiligung wegen der Staatsangehörigkeit muss verboten werden / Schutzlücken auch bei Sprache und familiärem Status

Reicht das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz noch so aus, wie es ist? In vielen europäischen Ländern geht der Diskriminierungsschutz über die in Deutschland verankerten Merkmale Alter, Behinderung, ethnische Herkunft, Religion / Weltanschauung, Geschlecht und sexuelle Identität hinaus. Eine umfangreiche Expertise im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes stellt fest: Auch in Deutschland würde eine Ausweitung und Konkretisierung der Schutzgründe Betroffene stärken.

„Drei von zehn Anfragen bei unserer juristischen Beratung beziehen sich auf Diskriminierungen außerhalb des derzeit gesetzlich geschützten Merkmalsbereichs“, sagte Bernhard Franke, kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, anlässlich der Veröffentlichung der Expertise. „Zahlreiche Fälle zeigen uns, dass der bisherige Schutz zu eng gefasst ist.“ Beispielhaft nannte Franke den Fall von Kuwait Airways, die einen Israeli nicht befördern wollten. Das Gericht sah hierin keine Diskriminierung, da Staatsangehörigkeit nicht geschützt sei. „Insbesondere in diesem Bereich ist eine Konkretisierung im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sehr einfach möglich und zwingend geboten.“

Die von der Ernst & Young Law GmbH erstellte „Rechtsexpertise zum Bedarf einer Präzisierung und Erweiterung der im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz genannten Merkmale“ schlägt daher unter anderem eine Prüfung folgender Bereiche vor:

Rechtliche Konkretisierung für das Merkmal „ethnische Herkunft“ mit Bezug auf „Sprache“ und „Staatsangehörigkeit“

Bisher sind weder Sprache noch Staatsangehörigkeit ausdrücklich durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geschützt. Die Staatsangehörigkeit wird dann unter „ethnischer Herkunft“ als Diskriminierung erfasst, wenn sie ein Stellvertretermerkmal darstellt und in Wahrheit eine Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft vorliegt. Ähnlich verhält es sich mit der Sprache. Durch eine Konkretisierung des Merkmals „ethnische Herkunft“ könnten beide Aspekte in den Schutzbereich klar einbezogen werden. Damit würde der rechtliche Schutz konkretisiert und Rechtsunsicherheiten vermieden. 

Rechtliche Klarstellung: Diskriminierungsschutz aufgrund des Geschlechts und der geschlechtlichen Identität

Nach der derzeitigen Rechtslage werden Diskriminierungen von trans* und intergeschlechtlichen Menschen entweder unter dem Merkmal der sexuellen Identität oder dem Geschlecht gefasst. Hier muss klargestellt werden: Geschlechtsidentität fällt eindeutig unter den Schutzbereich des Merkmals „Geschlecht“. Vorbild könnte hier Belgien sein: Hier wurde gesetzlich klar geregelt, dass Ungleichbehandlungen aus Gründen einer Geschlechtsangleichung, der geschlechtlichen Identität wie auch des geschlechtlichen Ausdrucks eine Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellen.

Mögliche Aufnahme des Diskriminierungsmerkmals „Familiärer Status“

Für die in einigen anderen Ländern geschützten Kategorien Ehestand und Lebenspartnerschaft/ Familienstand/ Personenstand/ familiäre Beziehungen kommt für Deutschland eine Erweiterung in Betracht. Persönliche Lebensverhältnisse wie zum Beispiel der Status als verheiratete oder alleinerziehende Person  oder das Vorhandensein minderjähriger Kinder oder pflegebedürftiger Angehöriger sind vom Schutzbereich des AGG derzeit nicht erfasst. Ehe und Familie genießen jedoch einen besonderen Schutz, sowohl auf verfassungsrechtlicher als auch auf europäischer Ebene.

Zugleich zeigen Beratungsanfragen der Antidiskriminierungsstelle, dass es gerade im Bereich des Arbeits- und des Wohnungsmarkts immer wieder zu Diskriminierungen aufgrund der familiären Situation kommt. Eine Erweiterung der Diskriminierungsmerkmale wäre daher zu prüfen. 

Prüfung der Aufnahme des Merkmals „Nachteiliger sozioökonomischer Status“

Armut und soziale Ausgrenzung können das Diskriminierungsrisiko erhöhen. Umgekehrt können erlittene Diskriminierungen ein mitursächlicher Grund für Armut und soziale Ausgrenzung sein. Allerdings treten Diskriminierungen aufgrund des sozioökonomischen Status vor allem in Kombination mit anderen Merkmalen auf, beispielsweise dem Geschlecht oder dem Alter. Rechtsunsicherheiten bei der Definition sowie eine klare Abgrenzung des Anwendungsbereichs bleiben daher aus Sicht der Autor_innen der Rechtsexpertise bestehen.

Zum Hintergrund: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz trat 2006 in Kraft und setzt vier EU-Richtlinien in deutsches Recht um. Viele EU-Mitgliedsstaaten gehen über die in diesen Richtlinien genannten  Merkmale hinaus und schützen über ihre Antidiskriminierungsgesetzgebung auch weitere Merkmale wie die soziale Herkunft, die Nationalität, den Familien- oder Personenstand oder das äußere Erscheinungsbild. Andere Staaten wie Finnland arbeiten mit einem offenen Merkmalskatalog.

 

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist eine unabhängige Anlaufstelle für Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind. Sie wurde 2006 mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eingerichtet. Sie betreibt Öffentlichkeitsarbeit und Forschung zum Thema Diskriminierung und bietet eine rechtliche Erstberatung für Menschen, die aufgrund der ethnischen Herkunft, Religion, Weltanschauung, sexuellen Identität, des Alters, einer Behinderung oder des Geschlechts benachteiligt worden sind. 

Quellewww.antidiskriminierungsstelle.de