Klage gegen rassistische Einlasskontrollen in einer Diskothek in Chemnitz (2018-2021) - ADB Sachsen begleitete als Beistandschaft

Ein Kläger bekommt wegen rassistischer Einlasskontrollen in einem Club in Chemnitz vor Gericht Recht. Der Clubbetreiber wird dazu verpflichtet, zukünftig Einlassverweigerungen aus rassistischen Gründen zu unterlassen. Der Prozess, der für Betroffene eigentlich eine Erfolgsgeschichte darstellen sollte, löst bei Kläger und Beiständ*innen dennoch gemischte Gefühle aus. Hier finden Sie einen ausführlichen Hintergrundbericht und eine Beschreibung des Prozesses aus Sicht des ADB Sachsen, welches den Kläger im Rahmen einer Beistandschaft begleitete.

Eingang

1. Diskriminierungsfall, Klage und Prozessverlauf

Sachverhalt und Anliegen des Ratsuchenden

Der 29-jährige Mediziner Adrian Angelescu und seine Freund*innen wollten gemeinsam im August 2018 eine Diskothek in Chemnitz besuchen. Am Einlass hieß es jedoch: Nur für Deutsche und Studierende! Der Türsteher gab als Erklärung an, dass es in der Vergangenheit nur schlechte Erfahrungen gegeben habe mit „Rumänen, Syrern, Polen“. Deshalb ließ der Türsteher Herrn Angelescu, der seinen rumänischen Personalausweis vorzeigte, nicht in den Club.

Menschen aufgrund rassistischer Zuschreibungen bzw. wegen der sogenannten ethnischen Herkunft nicht in eine Diskothek einzulassen, stellt einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dar. Es wird somit bestimmten Gruppen kriminelles Verhalten zugeschrieben und diesen Gruppen wird der Einlass verwehrt. Herrn Angelescu wird aufgrund seiner Nationalität dieses Verhalten unterstellt. Es geht hierbei nicht um ihn persönlich, sondern er wird kollektiv für ein bestimmtes Verhalten verantwortlich gemacht. Herr Angelescu wollte gegen diese Ungleichbehandlung vorgehen, gegebenenfalls auch rechtlich und öffentlich.

Die Vorbereitung der Klage

Herr Angelescu kam zu einem Beratungsgespräch ins Antidiskriminierungsbüro Sachsen in Chemnitz. Im Gespräch wurde besprochen, zunächst einen Beschwerdebrief an den Diskothekenbetreiber zu versenden. Dieser zeigte sich in seiner Antwort wenig einsichtig und bestritt den Vorfall. Daraufhin verschickte das ADB Sachsen nach Rücksprache mit Herrn Angelescu in einem weiteren Schreiben die rechtliche Geltendmachung.

Herr Angelescu war überzeugt davon, sein Recht auf Gleichbehandlung vor Gericht einzufordern. Nachdem die Geltendmachung fristwahrend abgeschickt worden war, fand ein gemeinsames Treffen mit einer Rechtsanwältin statt, in dem die weiteren Schritte auf dem Weg zur Klage besprochen wurden. Gemeinsam wurde beschlossen, dass das ADB Sachsen nach § 23 AGG die Beistandschaft vor Gericht übernehmen sollte. So konnte das ADB Sachsen – in strategischer Zusammenarbeit mit der Rechtsanwältin – seine Expertise als Beratungsstelle einbringen, mit dem Ziel, der Position Herrn Angelescus Nachdruck verleihen.

Die Verhandlung des Falls vor dem Amtsgericht Chemnitz

In einer außergerichtlichen Güteverhandlung vor Gericht im Mai 2019 konnte keine Einigung erzielt werden, weshalb eine Zeug*innen-Anhörung vor Gericht stattfand (September 2019). Nach einem weiteren Termin, der zur Anhörung eines weiteren Zeugen nötig war (Dezember 2019), wurde das Urteil verkündet (Januar 2020).

Die Diskriminierungserfahrung Herrn Angelescus aufgrund der ethnischen Herkunft nach AGG wurde anerkannt. Ihm wurde eine Entschädigungssumme in Höhe von 500 Euro zugesprochen. Der Clubbetreiber wurde dazu verpflichtet, zukünftig Einlassverweigerungen aus rassistischen Gründen zu unterlassen.

Die Begründung zur Entschädigungshöhe erscheint teilweise nicht überzeugend. Das Gericht begründet unter anderem die Höhe der Entschädigungssumme damit, dass für die benachteiligte Person kein „Geschäft“ daraus werden darf. Dafür gibt es angesichts der geringen Entschädigungssummen, die nach AGG verhandelt werden, keinerlei Anhaltspunkte.

Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist das Argument, die Benachteiligung sei weniger schlimm, weil der Clubbetreiber nicht systematisch „allen Ausländern“ den Zutritt verweigert habe, sondern „lediglich“ eine Zurücksetzung durch einen Mitarbeiter des Einlassdienstes vorlag. Diese Argumentation verkennt allerdings, dass Diskriminierung für Betroffene meist keinen Einzelfall darstellt, sondern eine alltägliche, sich häufig wiederholende Erfahrung ist. Darüber hinaus räumte der Richter selbst ein, dass der Clubbetreiber sich das Verhalten seiner Mitarbeiter*innen zurechnen lassen muss und dafür zur Verantwortung zu ziehen ist.

Ein weiterer kritikwürdiger Punkt ist, dass das Gericht sich in der Begründung darauf beschränkt, die Verletzung des Persönlichkeitsrechts habe sich im vorliegenden Fall nur in dem verweigerten Diskothek-Besuch erschöpft. Das Gericht stellte also nicht auf die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ab und berücksichtigte kaum die Auswirkungen des diskriminierenden Verhaltens für den Betroffenen.

Durch die Urteilsbegründung zieht sich damit in unseren Augen eine Argumentationslinie, die bemüht ist, Gründe dafür hervorzubringen, warum die vorgefallene Diskriminierung nicht so schwerwiegend sei, wie von der Anwältin Herrn Angelescus vorgebracht. Dies wiederum führte zu einer Entschädigungssumme, die deutlich unter der geforderten lag. 

Die Verhandlung vor dem Landgericht Chemnitz

Nach der Urteilsverkündung begannen wir gemeinsam mit Herrn Angelescu die Planung der Öffentlichkeitsarbeit. Während der Planungsphase erhielten wir die Nachricht, dass die Gegenseite Berufung einlegen würde. Daraufhin entschieden wir gemeinsam, die Öffentlichkeitsarbeit erst nach Abschluss des Berufungsverfahrens zu beginnen.

Das Berufungsverfahren bot jedoch die Möglichkeit, eine Anschlussberufung einzulegen, damit die Höhe der vom Amtsgericht zugesprochenen Entschädigungssumme vom Landgericht überprüft wird. Dies bot die Aussicht, eine höhere Summe zugesprochen zu bekommen und eine höhere Signalwirkung des Urteils zu erzielen.

Das Landgericht brauchte mehr als anderthalb Jahre, bis es einen Termin für die Berufungsverhandlung ansetzte, die am 14.09.2021 stattfand. Die Richterin am Landgericht merkte bezüglich der im Rahmen der Anschlussberufung geforderten höheren Entschädigungssumme an, dass sie hier „Luft nach oben“ sehe. Die Gegenseite zog jedoch ihre Berufung vor dem Landgericht zurück. Damit war auch die (nicht-selbstständige) Anschlussberufung Herrn Angelescus automatisch hinfällig.

Mit dem Abschluss des Berufungsverfahrens war das Urteil des Amtsgerichts (Urteil des Amtsgerichts Chemnitz vom 16.01.2020, Aktenzeichen 15 C 481/19) ohne weitere Fristen und damit die Verurteilung des Clubbetreibers wegen rassistischer Diskriminierung rechtskräftig.

2. Evaluation und Reflexion der durchgeführten Intervention

Der Beratungsprozess und die Begleitung Herrn Angelescus dauerte insgesamt mehr als drei Jahre an. Vom ersten Beratungsgespräch, über die Begleitung zur Anwältin bis zu den Verhandlungstagen, dem Urteil des Amtsgerichts, sowie schließlich dem Berufungsverfahren, war die Beratungstätigkeit des ADB Sachsen an verschiedenen Stellen gefragt.

Was haben wir als ADB Sachsen durch die Beratung erreichen können?

Ziel war es, die Position von Herrn Angelescu im gesamten Prozess zu stärken.
Im Urteil wurde die Diskriminierung anerkannt und auch eine Unterlassung erwirkt.

Die Rolle des ADB Sachsen im ganzen Beratungs- und Klageprozess hat sich auf mehreren Ebenen abgespielt. Grundsätzlich kam dem ADB Sachsen die Rolle zu, den Ratsuchenden zu begleiten und ihn über Interventionen umfänglich zu informieren. Es konnten in Beratungsgesprächen die Vor-und Nachteile der Klage sowie einer möglichen Öffentlichkeitsarbeit abgewogen werden. Die Berater*innen des ADB Sachsen begleiteten jeden der einzelnen Schritte in dem Fall, so z.B. das Übergabegespräch zur Rechtsanwältin und die verschiedenen Verhandlungen.

Auf dem gesamten Weg sollte der Ratsuchende durch das ADB Sachsen darin unterstützt und gestärkt werden, sein Recht auf Gleichbehandlung einzufordern. Dies umfasste auch, ihn bei Rückschlägen emotional zu begleiteten.

Was konnte auf struktureller und institutioneller Ebene gegenüber der diskriminierungsverantwortlichen Seite erreicht werden?

Clubs berufen sich bei ihren Einlasspraktiken sehr oft auf ihr Hausrecht, schließen dadurch bestimmte Menschen aus und behandeln sie ungleich gegenüber anderen Besucher*innen. Von rassistischen Einlasskontrollen sind meist junge, als nicht-mehrheitsdeutsch wahrgenommene Männer* betroffen, denen der Einlass verweigert wird. In dieser Wahrnehmung wird eine Gruppe konstruiert, der pauschal aggressives und kriminelles Verhalten zugeschrieben wird, wobei das individuelle Verhalten der so eingeordneten Personen keine Rolle spielt. Den Clubbetreiber*innen und Security-Mitarbeitenden ist diese rassistische Praxis mitunter nicht bewusst. Mitunter erfolgt die rassistisch ausgerichtete Einlasskontrolle auch als Anweisung seitens der Geschäftsführung. Dabei beurteilt das AGG in erster Linie nicht die Intention der diskriminierungsverantwortlichen Seite, sondern den Effekt – also die Folgen – des Handelns. Das AGG ist kaum bekannt bei Clubbetreibenden. Auch gibt es keine Beschwerdemöglichkeiten in solchen Fällen. Hausordnungen enthalten selten Antidiskriminierungsregeln. Dies zeigt, dass die Sensibilität in der Club-Szene für das Thema nicht gegeben ist.

Eine Klage kann hier einen Impuls geben, um nicht nur den beklagten Club, sondern die Clubszene der Stadt insgesamt auf das Diskriminierungsverbot bei Einlasskontrollen aufmerksam zu machen. Dies sollte zu einem Umdenken führen, dass Diskriminierungen nicht durch das Hausrecht der Clubbetreiber*innen abgedeckt sind.

Was konnte auf struktureller und institutioneller Ebene durch die Beistandschaft vor Gericht erreicht werden?

Richter*innen werden meist als objektiv handelnde und neutrale Personen in ihrem Amt dargestellt. Jedoch wirken auch soziale Verhältnisse auf Entscheidungsträger*innen ein. Auch die eigene Positioniertheit spielt dabei eine Rolle. Richter*innen in Deutschland sind mit überwiegender Mehrheit weiß. Es gibt keine Studien in Deutschland, wie viele Menschen mit Migrationserfahrung als Richter*innen arbeiten. Die Zahl wird auf 8-9 % geschätzt.[1] Es ist anzunehmen, dass Weißsein als Norm in deutschen Gerichtssälen wirkt und auch Urteile beeinflusst. Mit Anlehnung an die Critical Race-Theorie sehen wir einen Bedarf, dass die Vorstellung der scheinbaren Objektivität von Richter*innen an deutschen Gerichten hinterfragt werden und der Blick sich auf eine Thematisierung von institutionellem Rassismus durch Richter*innen weiten muss.

Sobald Richter*innen in ihrer Funktion als Richter*innen handeln und diskriminierende Äußerungen tätigen, findet institutioneller Rassismus statt. Für Klient*innen ist dies meist eine sehr unangenehme Situation und enttäuschende Erfahrung, wenn sie ihr Recht auf Gleichbehandlung vor Gericht einfordern – und im Gerichtssaal erneut Diskriminierung und Bagatellisierung ihrer Erfahrung erleben müssen.

Auch im hier beschriebenen Fall bagatellisierte der Richter die Diskriminierungserfahrung des Betroffenen. So verglich er die Folgen der erlebten Diskriminierung für Herrn Angelescu mit einem Autounfall und stellte sie in Relation dazu als weniger schlimm dar. Bei diesen Äußerungen bleibt unberücksichtigt, dass Rassismus für u. a. Menschen mit Migrationsbiografie, Schwarze Menschen, Indigenous und People of Color (BIPoC) eine tägliche Erfahrung bedeutet, dadurch identitätsbildend und eine große psychische und emotionale Belastung sein kann.

Im Urteil begründete der Richter die im Vergleich zur geforderten Summe relativ geringe Entschädigung von 500 Euro damit, dass es nicht zu einem Geschäft für den Benachteiligten werden solle. Hier liegt der Schluss nahe, dass der Richter die Diskriminierungserfahrung sowie die Beweggründe für eine Klage nicht ernstgenommen hat und Herrn Angelescu implizit unterstellte, dass er nur aufgrund des Geldes geklagt habe.

Eine Beistandschaft nach AGG kann hier ein Gegengewicht darstellen, um die Betroffenenperspektive zu stärken. So machte die Beiständin während des Gerichtsprozesses auf Folgen von Diskriminierung für Betroffene aufmerksam, um damit die Sensibilität des Richters für diese Erfahrungen zu schärfen. Das Einbringen der Antidiskriminierungsperspektive aus nicht-juristischer Sicht ist darüber hinaus auch bei der schriftlichen Argumentation der Rechtsanwältin wichtig.


[1] Doris Liebscher, Juana Remus und Daniel Bartel: Rassismus vor Gericht. Weiße Norm und Schwarzes Wissen im rechtlichen Raum, S. 136 (Fußnote 9), in: Kritische Justiz 47 (2014).