29. Mai 2020 • Allgemein 

Von Freiwild, Fahrradfahren und Vermutungsregelungen - Statement des advd zu den Äußerungen Horst Seehofers u.a. zum LADG

Tür eines Polizeiautos

Statement des advd zu den Äußerungen Horst Seehofers, der Gewerkschaft der Polizei und anderer anlässlich des geplanten Verabschiedung des Berliner Antidiskriminierungsgesetzes (LADG)

29. Mai 2020

Das Landesantidiskriminierungsgesetz in Berlin wird kommen. Das ist nach vielen Jahren der Auseinandersetzung und des inhaltlichen Ringens ein Grund zum Feiern.

Wir freuen uns auch, dass das Gesetz die Aufmerksamkeit von Horst Seehofer gefunden hat. Schade ist nur, dass er scheinbar nicht die Zeit hatte, sich tatsächlich damit zu beschäftigen. Bei einem näheren Blick hätte er vermutlich weniger polemisch und stärker in der Sache formuliert. Denn: das LADG ist wichtig und innovativ und die Entwicklung in Berlin, insbesondere die Erfahrungen, die mit den Regelungen in Bezug auf die Landespolizei gesammelt werden, könnten ein vielversprechender Impuls für den eigenen Handlungsbereich der Bundespolizei werden.

Mit ähnlicher Polemik haben sich in den letzten Tagen ein Chor von Vertretern der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zu Wort gemeldet. In ihren Positionen ist von einem „Generalverdacht“ die Rede. Das Gesetz sei nach Bundesland „weltfremd“ oder wahlweise auch „ein Schlag ins Gesicht“. Der Brandenburger Innenminister Stübgen fühlte sich veranlasst, das Gesetz als „unanständig“ zu skandalisieren und der Sprecher des Polizei-Berufsverband „Unabhängige“ fürchtet, dass die Polizei zukünftig als „Freiwild“ durch die Berliner Parkanlagen streifen wird.

Klappern gehört bekanntlich zum Geschäft und so ist es auch verständlich, dass Bedenken auf den letzten Metern vor der Verabschiedung des Gesetzes noch einmal medienwirksam in Szene gesetzt werden. 


Aber: Was ist tatsächlich dran? 

Mit etwas Abstand kann mensch die heftig formulierte Kritik auch als ein gutes Zeichen sehen. Dafür, dass eine echte Veränderung anstehen könnte. So etwas erzeugt Widerstand und kann mitunter auch Angst machen. Auch versteht nicht immer jede_r alles auf Anhieb. 

Wir sind zuversichtlich, dass sich die Aufregung in den kommenden Wochen legen wird und einem konstruktiven Umgang und (hoffentlich) einer Einsicht in den Sinn und Nutzen des Gesetzes weichen wird. Der Beschluss des LADG ist der Schritt von der guten Absicht hin zur Tat – der Schritt vom Wunsch nach Bewegungen hin zum Aufsitzen auf dem Fahrrad. Dabei wird einiges wird zunächst ungewohnt sein und nicht alles wird sofort reibungslos funktionieren. Um im Bild des Fahrradfahrens zu bleiben: vielleicht gibt es auch mal einen Sturz und nach den ersten Anstrengungen vermutlich auch einen Muskelkater. Auch das ist Teil von Veränderung - in diesem Fall hin zu dem erstrebenswerten, ur-demokratischen Ziel gelebter Gleichbehandlung.

Die Ausgangsvoraussetzungen sind gut: Das vorgelegte Gesetz buchstabiert das Diskrimnierungsverbot des Grundgesetzes auf Landesebene insbesondere für das Verwaltungshandeln aus und konkretisiert eine praktische Handhabung. Dabei knüpft es an vielen Stellen an die Erfahrungen an, die in den letzten fast 15 Jahren mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz gesammelt wurden und entwickelt den Diskriminierungsschutz auf Landesebene sinnvoll fort. 


Abschließend noch ein paar Worte zu § 7 LADG, der Vermutungsregelung, an der sich die aktuellen Verwirrtheiten festmachen:

§ 7 regelt eine Beweislasterleichterung für Bürger_innen. Können sie Tatsachen glaubhaft machen, die einen Verstoß „überwiegend wahrscheinlich“ machen, „obliegt es der öffentlichen Stelle, den Verstoß zu widerlegen“. Ein einfacher Satz, ein angemessenes Prinzip und: im Kern nicht neu. Ähnliche Regelungen zur Beweislasterleichterungen sind ein Bestandteil verschiedener Antidiskrimierungsgesetze, unter anderem des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetztes (AGG), und damit begründet, dass Betroffenen oftmals nur schwer Beweise für erfahrene Diskriminierungen erbringen können. 

Dass entsprechend im LADG eine für Bürger_innen überwindbare Schwelle zur Klageeinreichung formuliert wird, ist sinnvoll. Dass Mitarbeiter_innen des Landes, auch Polizist_innen, ihr Handeln nachvollziehbar und transparent dokumentieren, ist an vielen Stellen schon heute Standard und eine Selbstverständlichkeit. An anderen Stellen noch nicht. Aber auch hier gilt das als Anspruch, der nun von der guten Absicht zur Tat umgesetzt werden muss. Das ist auch eine Herausforderung. Die gute Nachricht: Muskelkater gibt es nur am Anfang.

Links

Die Kritik von Horst Seehofer: hier

Die anderen Stimmen: hier

Der Gesetzentwurf (nicht die aktuelleste Fassung, seitdem noch kleinere Änderungen): hier

Zum Thema siehe auch:

Migrationsrat Berlin: hier und hier

Queer.de: hier

Kontakt

Daniel Bartel, Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd)
Email: daniel.bartel@antidiskriminierung.org
Telefon: 01577/ 5751470